Primo Michele Levi ist eines der größten Schriftsteller und gleichzeitig eines der bedeutendsten Persönlichkeiten, die Italien in der Nachkriegszeit hervorgebracht hatte. Levi wurde am 31. Juli 1919 in Turin geboren und starb dort ebenso am 11. April 1987. Er wurde besonders durch sein schriftstellerisches Werk Ist das ein Mensch (Se questo é un uomo) von 1947 bekannt, welches seine Erinnerung an den Holocaust und das KZ Auschwitz behandelt. Sein bemerkenswertes Buch ist mit einer schier grandiosen Sachlichkeit geschrieben, die kaum anderswo zu finden ist. Trotz des Umstandes, dass er die Grausamkeiten des sinnlosen Krieges miterlebt hatte, nimmt er in seinem Buch keine Wertung vor.
Primo Levi: Es kann keinen Gott geben
Nachdem er den Holocaust überlebt hatte, ist er nach Italien in einer endlos langen Reise von Auschwitz nach Turin in neun Monaten zurückgekehrt, die er in seinem erst 1963 erschienen Buch La tregua (Die Atempause) beschreibt. Als er in Turin ankam, schrieb er seine Erinnerungen auf und verstarb am 11. April 1987 durch einen Treppensturz in seinem Haus. Man zweifelt bis heute, ob es tatsächlich ein Unfall war, oder ob sich Levi das Leben nahm. Er konnte bis zum Schluss, das Erlebte in den Konzentrationslagern nicht vollends verarbeiten. Eines stellte Levi in seinem Buch jedoch vorab klar: Wenn Auschwitz existieren konnte, so konnte es keinen Gott geben. Wenn man Auschwitz kennt, so hat ein Morgen keinen Sinn mehr.
„Die Erinnerung ist ein komisches Ding: Seitdem ich im Lager bin, tanzen mir immer zwei Verse durch den Kopf, die ein Freund von mir vor langer Zeit geschrieben hatte:
…bis eines Tages keinen Sinn mehr macht, „morgen“ zu sagen.
Hier ist es so, wisst ihr wie man „nie“ im Lagerjargon sagt? „Morgen früh“.
Textauszug und eigene Übersetzung aus Se questo è un uomo, 1947
Levi schildert eindrücklich, jedoch stets sachlich bleibend, die Emotionen, das Befinden und das Denken der Gefangenen in einer grandiosen Art. Als die Bombardierungen begannen und es hieß, die Deutschen würden besiegt werden, war statt Freude im KZ weitestgehend Gleichgültigkeit zu spüren einige schöpften zwar neue Kraft, der überwiegende Teil jedoch war zu müde, um überhaupt noch Kraft tanen zu können.
„Wir selbst sind zu kaputt, um wirklich zu fürchten. Die Wenigen, die noch wussten, zu urteilen und zu empfinden, holen sich aus den Luftangriffen neue Kraft und Hoffnung; diejenigen, die der Hunger noch nicht zur absoluten Passivität reduziert hat, profitieren oft von den Momenten der generellen Panik, um doppelt waghalsige Ausflüge […] in die Werksküche oder den Magazinen zu unternehmen. Aber der Großteil nimmt die neue Gefahr mit einer Gleichgültigkeit hin: Es war keine bewusste Resignation, aber die trübe Abgestumpftheit von Tieren, die man durch Schläge fügsam machte und deren Schläge nicht mehr schmerzen.„
Textauszug und eigene Übersetzung aus Se questo è un uomo, 1947
Am Anfang des Buches jedoch, sind von Levi die wichtigsten Worte praktisch in Stein gemeißelt. Levi ermahnte immer wieder, dass sich ein solches grausames Ereignis nie mehr wiederholen darf.
Voi che vivete sicuri
Ihr, die sicher lebtNelle vostre tiepide case,
In euren behaglichen Häusern,Vi che trovate tornando a sera
Ihr, die findet nach Hause kommendIl cibo caldo e visi amici:
Das warme Essen und vertraute Gesichter:Considerate se questo è un uomo
Denkt, ob dies ein Mann istChe lavorava nel fango
Der im Schlamm arbeiteteChe non conosce pace
Der keinen Frieden kenntChe lotta per mezzo pane
Der für ein halbes Brot kämpftChe muore per un sí o per un no,
Der durch ein JA oder ein NEIN stirbt,Considerate se questa è una donna,
Denket, ob dies eine Frau ist,Senza capelli e senza nome
Ohne Haare und ohne NameSenza piú forza di ricordare
Ohne die Kraft zu erinnernVuoti gli occhi e freddo il grembo
Leer die Augen sind und kalt ihr SchoßCome una rana d´inverno.
Wie ein Frosch im WinterMeditate che questo è stato:
Denkt nach, dass dies war gewesen:Vi comando queste parole.
Euch sollen führen diese Wörter.Scolpitele nel vostro cuore
Sie sollen euer Herz treffenStando in casa andando per via,
im Hause seiend auf euren WegenCoricandovi alzandovi;
Wenn ihr euch bettet und ihr aufsteht;Ripetetele ai vostri figli.
Wiederholt sie euren Kindern.O vi sfaccia la casa,
Oder euer Haus soll zerstört werden,La malattia vi impedisca,
Eine Krankheit soll euch niederringen,I vostri nati norcano il visto da voi.
Eure Kinder sollen von euch das Gesicht abwenden.
Zitat Levi im Buch Se questo è un uomo mit eigener Übersetzung
Die Deportation Primo Levis
Primo Levi wurde am 22. Februar 1944 nach Auschwitz deportiert und bekam dort die Nummer 174517 auf seinen Arm eintätowiert. Zu dieser Zeit war er 24 Jahre alt. Zu 650 Personen zusammengefercht in 12 Wagons ohne Essen, Trinken, sanitären Anlagen und Sitzplätzen fuhr der Zug erst abends los. Levi war mit 45 Personen in einem Wagon bereits am Morgen gepresst worden, von denen nur vier Personen ihr Zuhause wiedergesehen haben. Am zweiten Tag gegen 12 Uhr mittags fuhr der Zug erst über den Brenner, am vierten Tag am Abend ging es durch endlose Fichtenwälder, in der Nacht kam Levi dann in Auschwitz an. Sie stiegen aus und wurden in rund 10 Minuten in zwei Gruppen sortiert. 96 Männer und 29 Frauen, darunter auch Levi, wurden nach Monowitz-Buna und Birkenau gebracht. Die restlichen 526 Personen wurden in den Gaskammern ermordet. Primo Levi wurde mit dem Lastwagen innerhalb von 20 Minuten ins Lager gebracht, wo er eingesperrt, geschoren und gewaschen wurde. Erst dann gab es Sachen und Holzschuhe, die jedoch erst in der rund 100 m weiten Baracke angezogen werden durften. Nackt musste Levi zusammen mit den anderen Gefangenen im Schnee die Baracke beziehen.
Die elfmonatige Gefangenschaft
Primo Levi war in Auschwitz-Monwitz elf Monate, wo er Hinrichtungen, Kannibalismus, Hunger, Todesangst, Schmerzen, Hoffnung, Gleichgültigkeit und Kälte neben seiner täglich zu verrichtenden Arbeit im Lager aushalten musste. Er erzählt in Einzelheiten von den grausamen und unmenschlichen Bedingungen und Handlungen in Auschwitz. Elf Monate Hölle, die Primo Levi wie durch ein Wunder überlebt hatte – vielleicht auch, weil er als Chemiker in den Buna-Werken tätig werden konnte und so den Strapazen des kalten polnischen Winters 1944/1945 entgehen konnte.
Primo Levis Befreiung am 27. Januar 1945
Primo Levi erkrankte am 11. Januar 1945 vor der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee an Scharlach, weshalb er in die Krankenstation gebracht wurde. Da gab es jedoch kaum noch Personal, weshalb die Chancen auf ein Überleben sehr gering waren. Trotzdem überlebte Levi den Krankenbau und konnte ironischerweise durch seine Krankheit den Todesmärschen entgehen, die die SS aus Flucht vor der Roten Armee kurz vor Eintreffen dieser losschickten. Am 27. Januar 1945 wurde Primo Levi durch die Rote Armee befreit. Erst am 19. Oktober traf er in Turin ein, da seine Rückkehr neun Monate in verschiedenen Zügen dauerte.
Literarische Werke von Primo Levi
- 1947: Se questo è un uomo (Ist das ein Mensch?)
- 1963: La tregua (Die Atempause)
- 1966: Storie naturali (Die Verdopplung einer schönen Dame und andere Überraschungen)
- 1971: Vizio di forma (Das Maß der Schönheit)
- 1971: Lilít e altri racconti (Der Freund des Menschen)
- 1975: l sistema periodico (Das periodische System)
- 1978: La chiave a stella (Der Ringschlüssel)
- 1982: Se non ora, quando? (Wann, wenn nicht jetzt?)
- 1984: Ad ora incerta (Gedichte. Zu ungewisser Stunde)
- 1985: L’altrui mestiere (Anderer Leute Berufe. Glossen und Miniaturen)
- 1986: Racconti e saggi (Die dritte Seite. Essays und Erzählungen)
- 1986: I sommersi e i salvati (Die Untergegangenen und die Geretteten)